Öffis fahren

Ich kann nicht mehr genau sagen, in welchem Jahre es gewesen ist. Fest steht, es war um die Osterzeit. ich bin mit dem Erinnern an Ereignisse, oder gar wann etwas stattgefunden hat, nicht gesegnet. Meistens vergesse ich beim Verlassen der Kantine bereits, was ich gerade gegessen habe.
Aber dass dieses Ereignis um die Osterzeit vor einigen Jahren stattgefunden hat, das weiß ich noch ganz genau. Woher, erfährst du im Laufe dieser Geschichte.
 
Ich bin zusammen mit meiner damaligen Freundin in der U-Bahn gefahren. Das ist schonmal der erste Hinweis, der mir verrät, dass es einige Jahre her sein muss. Mit der Dame bin ich seit einigen Jahren nicht mehr zusammen. Wir saßen auf einem Doppelsitz. Uns gegenüber eine ältere, rundliche Frau. Aufgrund ihrer Kleidung konnte man annehmen, dass sie dem muslimischen Glauben angehörte. Sie saß einfach nur da und schaute vor sich hin. Nichts Auffälliges. Sie wirkte wie eine kleine graue Maus. Das lag nicht nur an ihrer grauen Burka, sondern auch an ihrer Ausstrahlung. Genauer gesagt war es gar keine Burka sondern ein Chador. Jedenfalls machte sie einen sehr ruhigen Eindruck. Fast verschreckt wirkte sie. Um den bösen Vorurteilen hier genüge zu tun - gewiss war sie auch verschreckt weil sie vor kurzer Zeit bestimmt mit einem Gürtel gezüchtigt wurde. Von ihrem BMW fahrenden Mann, der arbeitslos ist und noch nie gearbeitet hatte, junge Österreicherinnen vergewaltigte, seine Kinder schlug und den ganzen Tag bei seinen Verwandten in Dönerbuden rumhing um den Kunden ins Essen zu spucken. Und das nur, weil er seiner Meinung nach mit nur 2.000 Euro netto, zu wenig Sozialgeld erhielt und in einer schäbigen Wohnung im Kellergeschoss wohnen musste um sich den 7er leisten zu können.
Genug der Scherze, weiter im Text. Die kleine Dame saß in ihren augelatschten Billigschuhen mit einem Einkaufssackerl vom Lidl da, als plötzlich eine in rot gekleidete Erscheinung gegenüber der Türkin Platz nahm. Ich vermutete nur, dass sie Türkin war. Sie konnte natürlich genau so gut aus einem anderen Staat im nahen Osten kommen.
 
Die Rote schätzte ich auf Mitte 40. Sie hatte in ihren schlecht gefärbten, dunkelblonden Haaren eine Dauerwelle mit dem allseits bekannten und beliebten Vokuhila Schnitt für Damen. Sie sah aus wie eine grinsende, weibliche Kopie von Rudi Völler. Nur kleiner. Deutlich kleiner. Die Lippen waren ebnenso rot wie ihre Schuhe, ihr Bundfaltenrock, die 80er Jahre Bluse mit modischen Schulterpolstern und Brosche sowie ihre rote Jute-Handtasche. Besonders unattraktiv waren die schwarzen Kringel unter der transparenten Strumpfhose. Das ließ auf sehr behaarte Beine schließen. Im Großen und Ganzen ließ sich das Erscheinungsbild auf eine AUA-Stewardess aus den späten 70er Jahren herunterbrechen. Gewiss würde sie gleich aufstehen und die Sicherheitshinweise mit uns durch exerzieren.
 
Die in der Vergangenheit hängengebliebene Erscheinung setzte sich gegenüber der Frau mit Chador und grinste sie unentwegt an. Die Türkin bemerkte das natürlich, sah ihre neue Sitznachbarin skeptisch an und wandte ihren Blick aus dem Fenster. Mehr als schwarz mit weißen Strichen war allerdings nicht zu erkennen. Immerhin befanden wir uns in einer U-Bahn die durch einen Tunnel raste.
 
Die Situation wurde interessant, denn die altmodische rote Zora beugte sich zu ihrem Gegenüber und legte die Hand mit roten Fingernägeln auf den Oberschenkel der äußerst irritierten Ausländerin. Rudolfine Völler tätschelte das Bein der Muslimin und streichelte leicht darüber.
Ich war sehr gespannt auf den Fortlauf dieser Szenerie. Ich hoffte nur inständig, dass Rudolfine nicht versuchte die Muslimin zu küssen. Sowas Absurdes sieht man auch nicht alle Tage. Gleich meiner Verwunderung war der Blick der Betätschelten. Ihr entgeisterter Ausdruck verriet absolut, was in ihrer Gedanken- und Gefühlswelt gerade vor sich ging. Am liebsten hätte sie sich wohl weggesetzt. Wer konnte ihr das auch verübeln?
 
Endlich ließ die Rote einen Kommentar ab, sodass man erfuhr, was diese ganze Darbietung überhaupt bezwecken sollte. "Sei fröhlich! Der Heiland ist auferstanden. Finde das Glück und huldige dem Herren!" Aha, daher wehte der Wind also. Ohne Übertreibung, das hat die Frau in rot zu der Dame  mit Chador wortwörtlich so gesagt. Einleuchtend war das weder für die Muslimin, noch für meine damalige Freundin noch für mich. Zu welch skurrilen Gebilden sich solche Episoden doch ausweiten können. Ich hätte nicht gedacht, dass es noch abstruser werden könnte. Doch die fromme Christin befand sich auf ihrem ganz persönlichen Kreuzzug. König Richard wäre stolz auf so eine Unverfrorenheit gewesen. Robin Hood hätte da einpacken können. Schamlos widerholte die Gläubige ihre Weisheit und hoffte vermutlich auf eine erleuchtete Reaktion der Ausländerin. Aber das Gegenteil war der Fall. Ihr Blick wurde nur noch fragender, fast schon verzweifelt. Sie versuchte sich wegzudrehen um dieser Situation zumindest ein Wenig entgehen zu können. Doch dieser unambitionierte Versuch wurde rasch unterbunden. "Wieso wendest du dich ab von mir, Schwester? Hab weder Frucht noch Scheu. Freue dich! Feiere mit mir dieses große freudige Fest!"
Ich hab echt keine Ahnung, was diese Frau geschluckt oder injiziert hatte, aber sie fing an richtig gruselig zu werden. Hätte es Einstichstellen gegeben, wären diese durch ihr modisches Schulterpolsterjäckchen gut verdeckt gewesen. Und nach Pott oder Alkohol roch sie auch nicht. "Jesus, dein Heiland lebt! Sieh dich doch um, er lebt!" Die Alte spinnt...
Das Einzige, was man erkennen konnte, wenn man sich umsah, war Dreck. Schmutz am Boden, angeschmierte Zwischenwände und Sitze sowie verrotzte Glasscheiben und Müll. Ein Hoch auf unsere zivilisierte Welt.
 
Die Türkin versuchte nun verbal dieser Konfrontation entgegenzuwirken. "Ich nicht Jesus. Ich Mohammed. Allah meine Gott." Die Muslimin wagte einen Blick zu uns. Ich sah sie genauso verwundert an wie sie mich, schüttelte den Kopf leicht und hatte Mitleid mit ihr. Gleichzeitig war ich froh, dass die Kampfchristin nicht bei mir saß. Die nun folgende Aussage empfand ich als eine bodenlose Frechheit.
"Nein Schwester," entgegnete die selbsternannte Heilige, "du irrst dich. Ich kann dich in ein besseres Leben führen." Das heftige Kopfschütteln der Verschleierten wurde dezent ignoriert. Stattdessen wurde eine große Bibel, vermutlich größer als A4, mit Ledereinband und Goldlettern darauf aus der roten Jutehandtasche gezogen. Zuerst vermutete ich ja, dass diese strenggläubige Person auch von den Zeugen Jehovas stammen konnte. Die Idee wurde aber rasch verworfen, da weder "Wachturm" noch "Erwachet" zu sehen waren.
Bitte mich hier an dieser Stelle nicht falsch zu verstehen, jeder soll und darf an das glauben, was immer er möchte. Selbst wenn es ein heiliger Dünndarm in einem Känguru ist. Aber seinen eigenen Glauben jemanden aufzwingen zu wollen, das akzeptiere ich nicht.
Rotmäntelchen blätterte in dem dicken Wälzer herum, hielt kurz Inne um etwas zu lesen, schüttelte den Kopf und blätterte weiter.
Endlich - Die U-Bahn fuhr in eine Station ein, bremste hart ab und die bibelkundige Frau musste gegen die Trägheit der Masse kämpfen, da ihr beinahe die heilige Schrift aus den Händen gefallen wäre. Die Muslimin wollte die sich bietende Chance wahrnehmen und entkommen. So einfach ließ sich Rosenrot allerdings nicht austricksen. Sie hielt die Flüchtige fest und sagte mit heiterer Stimme: "Wo willst du hin? Ich möchte dir das Wort Gottes darbieten!"
 
Es war der Zeitpunkt gekommen in dem ich nicht wusste, sollte ich helfen oder mich raushalten und amüsieren bzw. wundern. Auf der einen Seite war es keine bedrohliche Situation, also wäre Nothilfe nicht angebracht gewesen. Andererseits konnte man sagen, dass die Muslimin wirklich belästigt wurde. Und das auch noch auf sehr perfide Art und Weise. Ich war echt unentschlossen. Im Grunde ging es mich ja auch gar nichts an. Was also tun? Ich entschied, mich nicht einzumischen. Wer weiß, am Ende hat die Kreuzritterin noch ein Schwert mit. Sie würde nicht zögern, mich als Ketzer zu beschimpfen um mich umgehend mit scharfer Klinge zu durchbohren. Oder schlimmer noch, ich würde Ziel der Reconquista werden. Es tat mir leid, aber die Rechnung ging einfach nicht auf.
 
Die Andersgläubige hatte Glück. Sie konnte sich mit einem gewagten Sprung durch die sich bereits schließende Tür ins Freie retten. Sie hechtete mit einer sagenhaften Leichtfüßigkeit durch die Profte. Es schien, dass sie das bereits öfter tun musste. Nach dem holywoodreifen Satz flüchtete sie, so schnell sie ihre Beinchen tragen konnten, in Richtung Rolltreppe. Es sah mehr wie ein schnellerer Spaziergang aus, aber sie bemühte sich. Die Hardcore-Christin blieb zurück, schaute sich trübselig im Waggon um und hielt die Bibel mit beiden Armen eng umschlungen vor ihrer Brust.
Es dauerte nicht lange, da erinnerte sie sich an diese Sache mit Gott, Jesus und der frohen Zeit seiner Auferstehung. Mit einem eher geistesvernebelt wirkenden Lächeln wandte sie ihren Blick zum Fenster und bewunderte die schwarze Wand mit den weißen Streifen die davor vorbeirasten.
Leider mussten wir an der nächsten Station aussteigen. Dabei entstand gerade jetzt eine filmreife Szene. Gegenüber der offensichtlich verwirrten Dame ließ sich ein großgewachsener Herr mit breiten Schultern nieder. Er saß schlampig da, schaute in sein Handy und tippte irgendwas am Display herum. Sein kahlgeschorener Kopf, die Bomberjacke mit "88"er Zeichen und die hohen Stahlkappenstiefel mit weißen Schuhbändern ließen nur einen Schluss zu.
Als ich sah, dass Rudolfine bereits ihren Blick wandte und den scheinbar radikalisierten Mann in altbekannter Manie angrinste, wollte ich am liebsten sitzen bleiben. Theater oder Film können nicht besser sein! 
 
Das Leben schreibt immer noch die besten Geschichten. Aber Cliffhanger sind echt übel.

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