Das Porsche-Ego

Der Irrsinn liegt auf der Straße


Wie sehr viele Mitmenschen bin auch ich täglich mit dem Auto oder dem Motorrad im Straßenverkehr unterwegs. Und was man da immer so erlebt ist schier unfassbar und/oder abenteuerlich. Erlebtes auf Straßen ist nur sehr schwer ausdenkbar. Kaum jemand käme auf solch bizarre Szenarien wie es weltweit auf den Straßen, Gassen und Autobahnen geboten wird. Autofahrer, Motorradfahrer, LKW- und Autobuslenker könnten Bücher mit skurrilen, mehr oder weniger unterhaltsamen Erlebnissen füllen. Auch wird stets von anderen Verkehrsteilnehmern behauptet, besser zu fahren als alle anderen: „Oida, lean Auto foan, du Trottl!“.
Oftmals muss sich der mitreisende Beifahrer den Kommentar „Die könnan olle net Auto foan…“ anhören. Seltsamerweise sagt das jeder Autofahrer über andere. Die einzige Ausnahme ist, wenn sich Autofahrer gegen Fußgänger oder Radfahrer verbünden.

Was kann man aber wirklich herauslesen? Können tatsächlich alle nicht-Auto-fahren?

Nun, meiner Meinung nach gilt es hier zu differenzieren. Nämlich in die Leute die schlechter-nicht-Auto-fahren-können, und in die, die besser-nicht-Auto-fahren-können. Und dann gibt es noch eine Randgruppe, die sich allerdings über großen Zuwachs freuen kann: Leute die überhaupt nicht Auto fahren sollten.

Ein stolzer Vorzeige-Vertreter der letzten Gruppierung ist mir neulich bei einem kleinen Verkehrsunfall ohne Personenschaden untergekommen. Glücklicherweise war ich nur als Zeuge involviert und musste mir mit diesem seltsamen Verkehrsteilnehmer so gut wie keine verbalen Wortgefechte liefern. Das Dabeisein alleine war aber Unterhaltung pur. Es geschah bei einer meiner unzähligen Heimfahrten von der Arbeit. Vor mir fuhren einige Fahrzeuge, ich, mit genügend Abstand und schön gemütlich hinterher über die Hauptstraße durch eine Ortschaft. An einer Kreuzung, wir waren auf der Vorrangstraße unterwegs, kam von links ein großer dicker Porsche SUV. Dieser hielt vorerst auch noch an. Jedoch dürfte der Lenker dann die beachtliche Länge unseres Konvois (immerhin gut 6 Autos) erkannt und die Nerven verloren haben. So geschah es, dass jener Lenker mit seinem hoch-PS-igen Wagen meinte, in eine winzige Lücke des Konvois zu passen. Also fuhr dieser waghalsig, mit laut aufheulen Motor los. Das Unvermeidliche passierte – er touchierte gleich 2 Fahrzeuge. Sekunden später, ein riesen Tumult auf der Fahrbahn. Unzählige Lenker und wenn vorhanden auch Beifahrer sprangen aus deren Fahrzeugen, schlossen eine kleine, vorübergehende Allianz gegen den Unfallverursacher. Unter einem Banner, mit schallenden Hörnern und Trommeln, vereinte sich die Rotte zu einem Heer der gnadenlosen „Besser-Fahrer“, zog in die Schlacht und lieferte sich einen linguistischen Schwertkampf mit spitzen Zungen, auf Leben und Tod, mit dem Lenker des SUVs. Ein Wirbelsturm wehte über den Übeltäter herein. Mit schweren Geschützen wurde eine um die andere Salve auf den geradezu überrollten Porschefahrer gefeuert. Der sah seine einzige Chance in der Flucht nach vorne, die in einem Gegenangriff resultierte. Einem Hammerschlag gleich. Als würde ein schwerer alter Schlägel mit lautem Klirren, fest geschwungen auf einen Ambos herniederschnellen, auf glühendes Metall prallend um es zu formen.

Ich, als pflichtbewusster, sozial engagierter Bürger dieses Staates, beteiligte mich umgehend wohlwollend für alle Schreihälse, an der Situation. Allerdings stellte ich mich auf keine Seite der beiden Kampfparteien. Ich, als Schiedsrichter, als unparteiischer Mediator, versuchte mit diplomatisch gewählten Worten die Herr- und Damschaften zu besänftigen und die Fahrbahn für den Nachfolgeverkehr freizumachen. Aber die erhitzen Gemüter ließen sich durch meine gut gemeinten Phrasen nicht trennen. Wie ausgehungerte zähnefletschende Wölfe, die sich in einem blutigen Stück Fleisch verbissen hatten, bellten und knurrten sie sich an. Die Stimmung war zum Anfassen angespannt. Fluchend, beleidigend, sich ordinäre Gesten zeigend und beschreibend, was sie alles mit der Mutter und der Tochter des jeweiligen Gegenübers tun würden bzw. bereits getan hätten. Nicht einmal die Familienhunde sind bei diesen Wortegefechten verschont geblieben.

Dieser unüberhörbare Auflauf, der aus den zahllosen Mündern der Menschentraube floh, lockte aus unerfindlichen Gründen die Staatsgewalt herbei. Es schien, als würde man mit blutigen Knien in einem Haifischbecken schwimmen, die drohende Gefahr und das Unausweichliche witternd. Anstatt der aus dem Wasser herausragenden Rückenflosse sah man die Schirmmützen der Polizisten über die Autodächer ragen, wie sie hin und her huschten und sich flink näherten. Sie bewegten sich sehr rasch durch die bereits entstandene Fahrzeugschlange zielstrebig auf uns zu. Um vorab die Situation nicht noch mehr eskalieren zu lassen, erklärte ich einen Polizisten verfolgend, er schien der älteste und damit erfahrenste zu sein, was genau passiert war. Es war gar nicht einfach, da ich mit dem vor Adrenalin schnaubenden Inhalt der Uniform Schritt halten musste. Nachdem der Inspektor meine Ausführungen über sich ergehen ließ, stieß er zu seinen bereits nach vorne gepreschten Kollegen vor, trennte die Streithähne mit ruhiger aber sehr bestimmter tiefen Befehlsstimme.
Der König der Wüste kann sich durch sein tiefes Brummen der Aufmerksamkeit der aufgebrachten Affenbande sicher sein.
Nachdem die Unfallgegner sich psychisch wieder auf der Erde und im Hier und Jetzt befanden, realisierten diese die eigentlich peinliche, für mich aber sehr unterhaltsame, Situation. Das Gaffen der vorübergehenden Passanten reduzierte das Unwohlsein des Mobs keineswegs. Durch die Position der Fahrzeuge und den sichtbaren Schäden ist es auch der Polizei nicht entgangen, was hier vor kurzem vorgefallen war. Vermutlich wären sie da auch ohne meine vorab gelieferte Zeugenaussage draufgekommen. Vermutlich.

Alsbald die Situation halbwegs beruhigt war, wollte ich meine Weiterfahrt nach Hause antreten. Leider versperrte mir ein zierlicher Polizist, privat und in zivil würde ich so ein schmächtiges Männlein vermutlich als „Würstchen“ bezeichnen, den Weg. Die Uniform hing formlos über seine nahezu nicht vorhandenen Schultern. Die Hose faltenreich, fest mit dem Gürtel zugeschnürt, damit sie nicht über die schmale, fast kindliche Taille rutschen konnte. Die Schirmkappe rutschte ihm viel zu weit in die Stirn und der Schirm drohte seinen Blick zu verdecken. Wie ein kleiner Junge, der den Blaumann seines Papas angezogen hat um stolz vor einer Kamera zu posiert. Der Würstchen-Bulle hätte nur noch ein Cape, eine heroische Maske und ein wenig Gegenwind gebraucht, um die Situation und seine Körperhaltung noch theatralischer darzustellen. Eine Hand in die Hüfte gestemmt, die andere vorausgestreckt als würde er jeden Moment „Heil Hitler“ brüllen wollen, versperrte er mir und meinem Automobil den Weg. Ich war in dem Irrsinn weiter gefangen, keine Fluchtmöglichkeit aus den Fängen der Wahnsinnigen. Ich musste bleiben. Ich war Zeuge des Hergangs. Dass es absolut auf der Hand lag, was hier geschah, selbst die direkten Beteiligten gaben den Unfallablauf zu, tat hier nichts zur Sache. Ich war sicher, dass der Würstchen Nazi die Spur des Verbrechens alleine gewittert hätte. Aber er brauchte meine Unterstützung. Wie die Comic-Helden, die in Wahrheit allesamt zu idiotisch waren um irgendetwas auf die Reihe zu bekommen. Die Fälle und Geschichten wurden meist mit den Sidekicks gelöst, die lächerlichen Helden ließen aber Zufälle stets im Glanze des Ruhms erstrahlen. Ich wollte den Helden der Stunde nicht hängen lassen. Was hätte er am Abend in seinem Kinderzimmer, heimlich mit Taschenlampe unter seiner flauschigen, wohlig weichen Ghostbusters Bettdecke sonst in sein Tagebuch schreiben sollen?!
Also stieg ich widerwillig und seufzend aus, sicherte so nonverbal dem Würstchen meine tatkräftige Unterstützung zu und trottete etwas angesäuert mit den Händen in den Hosentaschen zur Unfallstelle. Ich hätte bereits zu Hause sein können, mit einem guten Glas Wein oder einem spitzen Scotch auf dem Balkon sitzend. Meine  Stimmung wäre perfekt gewesen um eine leere Dose missmutig wegzukicken. Aber leider, wenn man mal Müll braucht ist keiner da um sich abzureagieren bzw. seinen Unmut durch eine Tat auszudrücken. Kein Verlass auf die Umweltverschmutzung.
Nein, nichts da, ich musste Kindergarten-Onkel spielen und den Schirmmützenmenschen ganz genau erläutern: wie, was, wann und warum. Als müsste man einem Kind die ungesunden Gründe erläutern, welche entstehen sobald man das Küssen mit einer Steckdose übt.

Der Unfalllenker, der hier den Zündstoff für erneute verbale Ausbrüche mimte, ließ mich kaum einen Satz vollenden ohne irgendeinen unqualifizierten Unfug von sich zu geben. Diese seine Einwürfe waren so willkommen wie das beschwerliche Quietschen eines Mikrophones das zu nahe an einem Lautsprecher benutzt wird. Offenbar könnte es sich bei dem Porschefahrer sogar um meinen Vater handeln, denn laut seiner Aussage hatte er auch mit meiner Mutter schwere Unzucht betrieben. Nachdem ich mein ständig unterbrochenes Referat zu Ende führen durfte wandte sich der älteste der Staatsorgane an den Lenker und meinte: „Heans, Sie haben da Nachrang. Do könnans net afoch außefoan wia’s Ihna passt…“
Dass der Porschefahrer nun mit der auf der Hand liegenden Wahrheit konfrontiert wurde und die kollektiv vorherrschende Meinung nicht im Recht zu sein nicht teilte, ließ dann wohl seine letzte Hirnzelle für logisches Denken die Flucht ergreifen. Damit wollte nun sein eigener Kopf nichts mehr zu tun haben.
Wort wörtlich platze es aus ihm heraus: „Huachts amoi olle zua, es Bagasch!!! I hob an Porsche! I halt die Wirtschaft mit dem Auto im Gang! Im Gegensatz zu eich hob i Göd, i bin reich! Oiso suitats ia mehr Respekt voa mir zeigen und die Straße frei machen, wenn ana mit an Porsche daher kummt und do foan wü. Schleichts eich afoch mit eichare Sudaranten-Kraxn, es vadommtn Schnorra! Wegen eich geht die Wöd und de Wirtschoft in Oasch! I bin im Recht, weil i hob des Göd! Und du“, damit wandte er sich an den sehr verstört dreinblickenden Polizisten (wer kann ihm das nach so einem Statement auch verübeln) ,“ geh ma aus de Augn. Du Nudlaug host dei Hockn a nua damits Steuerzahler wia mia am Oasch gehen konn…..!“ Das verbale Donnergrollen verebbte schlagartig als der Polizist mit gekonntem Handgriff den Porschefahrer zu einer eher ungewöhnlichen Haltung einlud. Niemand sonst kann seinen Arm so hoch den Rücken hinaufstrecken. Besonders nicht aus eigenen Stücken.
Dennoch führte der Porschefahrer protestierend aus, was er auch mit der Großmutter, Mutter, Ehefrau und sogar der Tochter des Polizisten getrieben hätte und noch treiben würde.  Er erinnerte mich an ein trotziges Kind, das heulend auf seinem Dreirad, mit schmutzverschmiertem Mund heulte, weil es den Schlecker, den es wollte, nicht bekam.
Zur Belohnung und zum Dank erhielt der Unfalllenker dann zwei schöne Silberringe an den Handgelenken die mit einem schmucken Kettchen verbunden waren und mit einem leichten Ratsch-Geräusch und einem leisen Klicken um seine Fesseln gelegt und fixiert wurden. Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, aber offenbar überspannt man den Bogen mit solcherlei Aussagen dann doch ein klein Wenig.

Der beschädigte Porsche jedenfalls verblieb erstmal eine kurze Zeit an seinem letzten Standplatz während der Fahrzeughalter anderer Wege gegangen wurde. Wenig später wurde der Wagen von einem Abschleppunternehmen mitgenommen. Zugegeben, ich hoffte, dass es richtig teuer werden würde. Der älteste Polizist, dessen gesamter weiblicher noch lebender Familienstammbaum geschändet wurde und noch wird, nahm den wutschnaubenden, tobenden und missverstandenen Porschefahrer dann in seinem Auto mit. Die übrigen Schirmkappen verblieben am Schauplatz und nahmen die Daten und Aussagen sämtlicher Zeugen, Schaulustiger und Passanten auf. Wie kleine Elfen in der Werkstatt des Weihnachtsmannes huschten sie umher, fragten, schauten interessiert und notierten.

Nach zirka 2 Stunden war der Spuk vorbei und es wurde mir gestattet meine Fahrt dann doch fortsetzen. Dementsprechend kam ich viel zu spät zu Hause an.
Nachdem ich Zeuge wurde wie verkorkst uns versnobt man tatsächlich sein kann, genoss ich meinen wohlverdienten Drink am Balkon.

Trotz dieser verrückten Heimfahrt durch die ich immer noch ein leises Klingeln in den Ohren habe und noch immer darüber schmunzle, kann ich mit Blick auf einen wunderschönen Sonnenuntergang nur sagen: Die Welt ist wunderbar…

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Mein erster Versuch

Das Porsche-Ego

Der Irrsinn liegt auf der Straße Wie sehr viele Mitmenschen bin auch ich täglich mit dem Auto oder dem Motorrad im Straßenverkehr unterwe...